Tag 138 – 141 (27.02.2017 – 02.03.2017)

Die Zeit vergeht schnell und am 27. erreichen wir schon wieder Sydney. Wir wollen Sonja eigentlich nicht noch einmal behelligen und suchen nach einer anderen Unterkunft. Günstiges gibt es nichts, aber für ein paar Tage geht es.

Ich schreibe mit Sonja, da wir noch meine Festplatte bei ihr abholen müssen. Die hat uns ein Internetcafé aus Wellington hinterhergeschickt. Dort haben wir sie vor dem Abflug vergessen nach Australien vergessen.

Sonja lädt uns ein, doch wieder bei ihr zu übernachten. Die Nanny ist gerade abgereist und nun die zum Zimmer ausgebaute Garage frei. Da können wir nicht nein sagen. Ich freue mich riesig die Familie wiederzusehen und auch Dario ist happy.

 

Zweiter Probetag und erste walk ins

Er hat noch einen weiteren Probetag bekommen und so fahren wir am Tag darauf wieder in die Stadt. Da ich das Handy brauche, um mich in der Stadt zurecht zu finden, bringe ich Dario zur Arbeit. Zurückfinden muss er mit einer alten Stadtkarte, die Sonja und ich gestern Abend noch schnell aus der Papiertonne gekramt haben. Dort sind nämlich die ganzen Karten und Broschüren aus der Garage gelandet, die jetzt ja keine Nanny mehr braucht.

Ich ziehe los und schaue mir zur Einstimmung das „Martian Embassy“ von L-A-V-A an. Es ist ein verhältnismäßig kleines Projekt, aber ein besonders schönes. Hier finden unter anderem Schreibworkshops für Kinder statt.

Dann probiere ich zum ersten Mal aus, wie es ist in ein Büro zu gehen, um sich vorzustellen. Ich suche eines aus, bei dem ich eine Absage gut verkraften kann..

Ich klingle, verstehe die Stimme aus der Anlage aber ganz schlecht und versuche zu erklären wer ich bin und warum ich durch diese Tür möchte. Dann kommt auch noch jemand aus der Tür, was die Sache nicht wirklich erleichtert. Doch schließlich bin ich drin.

Das Büro liegt im ersten Stock und es gibt eine Art Rezeption. Von der Dame hinter dem Tisch erfahre ich, dass meine Bewerbung ihr Postfach nie verlassen hat. Die anderen Mitarbeiter sind gerade in der Mittagspause, nur eine der Leiterinnen ist da. Sie ist allerdings gerade am ausrasten, rauft sich die Haare und flucht.

Recht unbeteiligt fragt die Rezeptionistin sie, ob sie vielleicht kurz mit mir reden möchte. Ich sehe der Chefin jedoch an, dass das kaum gut ausgehen könnte und lasse sie wissen, dass es kein Problem ist, wenn sie gerade keine Zeit hat. Die Rezeptionistin sagt zu, meine Mail an die Chefetage weiter zu leiten und ich schaue zu, dass ich diesen Ort des Schreckens verlasse.

Buchungschaos

Zur Entspannung rufe ich bei unserem Autoverleih an, da ich vom Reisebüro, in welchem wir den Campervan bestellt haben, noch keine richtige Rückmeldung bekommen habe. Der Verleih hat uns allerdings gar nicht auf der Liste. Da ich gerade eh in der Gegend bin, wo das Reisebüro („TravelBugs“) ist, schaue ich dort vorbei. Unser Travelagent ist sogar da und entschuldigt sich mannigfaltig. Irgendwie gab es bei dem Verleih für morgen gar keine Autos mehr und er hat stattdessen einen anderen Wagen für uns gefunden. Der hat den gleichen Preis, sogar mit Versicherung.

Ich bin trotzdem etwas stinkig. Der erste Verleih hatte viel bessere Bewertungen. Der neue kauft anscheinend die ausrangierten Wagen anderer Verleihfirmen und macht mit diesen Schrottkarren noch mal Kohle.

Weiter geht‘s

Nun ja, aber da kann ich jetzt wohl auch nichts mehr dran ändern. Aus Prinzip versuche ich es noch bei einem weiteren Architekturbüro. Dort kommt mir der Chef gerade entgegen. Er ist unterwegs zu einem Termin. Zwischen Tür und Angel reden wir kurz, doch es fühlt sich nicht gut an und so bin ich ganz froh, dass er mich mit einem „Wir brauchen gerade eigentlich niemanden“ abspeist.

Da ich noch ein wenig Zeit mit Sonjas Familie haben möchte, mache ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Sie liegt direkt am Central Park, einem architektonisch durchaus interessanten Projekt. Es besteht aus etlichen Gebäuden, die von verschiedenen bekannten Architekturbüros stammen. Das auffälligste von ihnen kann sich Jean Nouvelle, ein Pariser Architekt, auf die Kappe schreiben. Es ist ein riesiges Hochhaus, dass auf allen Stockwerken begrünt ist.

Central Park Sydney

Als ich heute mal wieder daran vorbei spaziere, sehe ich eine Gruppe, die einem Herrn in Anzug folgt. Es sieht aus wie eine Führung und ich frage, ob ich mich anschließen darf. Es ist irgendwas kommerzielles und am Ende wird es für die geladenen Gäste eine Verköstigung geben.

Daher sind die Informationen nicht ausschließlich architektonischer Natur. Ich bin aber auch schon nicht mehr so aufnahmefähig. Wenigstens komme ich auf die Art in alle möglichen Gebäude. Hier ein interessantes Foyer, dort ein ganz nettes Konzept. Das Studentenwohnheim mit Kino im Foyer, gemeinsamen Kochbereich im Freien und Themenräumen (Musikprobe, Billard, …) in jedem Geschoss gefällt mir besonders gut.

Das begrünte Gebäude ist auch nett, der Innenraum könnte aber atmosphärisch besser sein.

So komme ich doch recht spät heim und kann den Kindern grade noch eine gute Nacht wünschen. Vom Essen ist noch etwas übrig und so futtere ich noch etwas und quatsche mit Sonja.

Positives von der Jobsuche

Dario kommt wieder spät heim und bringt erneut positives Feedback mit. Jedoch mit der gleichen Unsicherheit was die Jobmöglichkeiten im Juni angeht.

Langsam fühle ich mich richtig schlecht, dass ich noch nicht mal ein „Vielleicht“ habe. Andererseits weiß ich, dass ich vermutlich sofort eine feste Zusage bekomme, falls ich denn eine bekomme.

Aber ich habe jetzt eine Zusage für ein Bewerbungsgespräch in dem Büro, in dem Sonjas Freundin arbeitet. Erst mal für morgen Nachmittag angesetzt.

Laboratory for Visionary Architecture

Am nächsten Tag gebe ich mir einen Ruck und beschließe gleich als erstes zu L-A-V-A zu gehen. Wir kommen nicht ganz so früh los wie geplant, da wir mal wieder unsere Sachen sortieren und dann noch Abschied von unseren herzlichen Gastgebern nehmen müssen.

Ich habe Sorge, dass das Team vielleicht früh in die Mittagspause geht, denn es ist schon nach elf, als ich schließlich vor dem Büro aus dem Bus steige. Dario wartet an einer zentralen Haltestelle in der Stadt mit den Rucksäcken.

Ich gehe zum Büro und werfe einen Blick durch die Glasfront. Dahinter baumeln orange Figuren (Plexiglas?) an Fäden und durch diesen Vorhang aus Kunst sehe ich fleißig arbeitende Menschen an Computern. Und Chris Bosse, der Chef an diesem Ort, geht gerade an der Reihe der Computer entlang in Richtung Eingang.

Ich öffne die Tür und gehe ihm entgegen. Er entdeckt mich und kommt mir entgegen. Er sieht netter aus, als ich ihn mir von den Fotos her vorgestellt habe.

Ich reiche ihm die Hand und sage: „Hello Mr. Bosse, I‘d love to work for you.“

Er reagiert positiv und bedeutet mir ihm eine raumsparend schmale Treppe hinauf zu folgen. Während ich hinter ihm die Stufen hinaufgehe, klären wir meinen Namen und Nationalität.

Dann können wir auch Deutsch reden“, sagt er. Ich weiß ja, dass er Deutscher ist, also erkläre ich den Grund für meine Vorstellung auf Englisch: Wir sind in einem englischsprachigen Land, da erschien mir das selbstverständlich.

Ich biete ihm an, weiter Englisch zu sprechen, doch er meint Deutsch sei okay.

Das stellt mich natürlich vor die unangenehme Frage, ob ich ihn siezen oder duzen soll. Das englische „you“ hätte mir dieses Problem erspart.

Also frage ich einfach nach und es wird das „Du“.

Wir betreten eine kleine Küche und er beginnt sich Kaffee zu machen. Ob ich auch einen möchte? Nein danke, ich trinke ja keinen.

Ob ich einen USB-Stick mit Portfolio dabeihabe? Ich muss grinsen. Bei meiner Bewerbung für‘s Praxissemster hatte ich nur eine Mail mit meinen Projekten geschickt und nichts zum Gespräch mitgebracht. Natürlich hatten sie mein Portfolio bereits ausgedruckt und eine Mappe wäre daher überflüssig gewesen. Trotzdem haben sie mir nahegelegt, in Zukunft immer eine Mappe dabei zu haben.

Also halte ich nun meine Mappe hoch, die mich in dieser „billigen“ Ausführung immerhin fast fünfzig Dollar gekostet hat. „Ah, das ist natürlich noch besser“, sagt Chris.

Ob ich mich willkürlich bei allen möglichen Büros beworben habe?

Ich sage nein, weil es mir bei der kleinen Auswahl, die ich getroffen habe, nicht so vorkommt. Und wenn Dario nicht wäre, hätte ich es bei noch weniger Büros versucht.

Und das hier ist mein erstes wirkliches Bewerbungsgespräch nach dem Studium.

Dass ich einfach hereinspaziert bin, weil ich dachte, dass ich sonst eh keine Chance habe, stört ihn nicht. Wenn ich ihn richtig verstehe, hat er es früher nicht anders gemacht.

Dass ich in Biberach studiert habe gefällt ihm, er ist ja auch Schwabe.

Sein Kollege, der von der Ausstrahlung her auch eine leitende Position inne hat, kommt dazu und freut sich ebenfalls: „Wir sind ja quasi ein Englisch-Schwäbisches Büro.“

Er kommt auch von einer Hochschule, es muss nicht immer Uni sein.

Da er mich nun nur Deutsch reden gehört hat, fragt er wie es denn mit meinem Englisch stünde und ich antworte ihm sofort auf Englisch. Er ist sofort zufrieden und wir wechseln wieder ins Deutsche. Ich nehme mir vor, unbedingt noch englische Vokabeln zu lernen. Mein Englisch mag gut sein, an Fachvokabular dürfte es mir aber noch mangeln. Unser Englischunterricht (ein Semester lang eine Stunde pro Woche, also effektiv etwa zehn Stunden) war nicht wirklich hilfreich.

Während die beiden ihren Kaffee fertig machen, reden wir einfach weiter. Es ist ganz locker. Sie erzählen, dass ich noch vor einer halben Stunde viel schlechtere Karten gehabt hätte. Heute ist Abgabe für einen großen Wettbewerb und erst in den vergangenen dreißig Minuten hat sich die Lage entspannt. So viel dazu, dass wir spät losgekommen sind.

Ich sehe die vielen nicht gespülten Tassen im Waschbecken und frage, ob ich vielleicht während dem Schwatzen abspülen soll. An Abgabetagen hat man für so etwas keine Zeit, das kenne ich ja. Und ich selbst habe gerade ja alle Zeit der Welt.

Die Antwort ist nein, aber sie finden den Ansatz nicht schlecht. „Du bist ja noch nicht mal Teil des Teams, aber das kann sich in der nächsten halben Stunde ja ändern“.

Das bestärkt mein gutes Gefühl, ich glaube sie möchten mich einstellen.

Auch die Sache mit der Weltreise gefällt ihnen. Chris äußert, dass er gerne auch nach Indonesien in den Urlaub fahren würde, was ihm hochgezogene Augenbrauen einbringt. Und ich erzähle von unseren Zielen und von Dario, der ja vielleicht im Quai arbeiten wird. Chris kocht anscheinend auch gerne, aber wir gehen nicht weiter darauf ein.

Warum ich denn eigentlich bei ihnen arbeiten möchte? Das ist eine einfache Frage, die ich gerne und voller Überzeugung beantworten kann. Ich möchte wenigstens einmal in einem Büro gearbeitet haben, dass so entwirft und baut, wie ich es mir erträume.

Ob das letztendlich mein Weg sein wird, weiß ich natürlich noch nicht. Träume sind ja erst mal immer nur Träume. Die Realität muss ich nun herausfinden. Das sage ich aber natürlich nicht.

Ich stelle eine Frage zu einem der Modelle, die in einem Regal an der Wand stehen. Ich habe mir etliche Projekte des Büros angeschaut. Einige kannte ich schon aus dem Studium, andere habe ich erst bei der Recherche entdeckt und einfach die näher betrachtet, die mir interessant erschienen. Ich bekomme eine lange Antwort und kassiere die Bemerkung, dass ich meine Hausaufgaben gut gemacht habe. Ein Satz, den ich auch aus dem Studium kenne. Er bedeutet meist etwa das Folgende: „Ich bin nicht beeindruckt, aber es ist schön, dass mal jemand das Selbstverständliche getan hat. Brav.“

So geht es weiter. Wir reden jetzt bestimmt schon eine viertel Stunde und die beiden haben meine Mappe noch nicht mal gesehen. Statt zu hoffen, dass sie die Mappe einfach vergessen, sage ich, dass mein Portfolio sie vermutlich nicht von den Socken hauen wird. Eigentlich doof, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein könnte mir hier nicht schaden.

Sie möchten sie natürlich sehen, aber obwohl ich immer noch tierisch nervös bin, habe ich ein ganz gutes Gefühl. Obwohl ich weiß, dass meine ausgewählten Projekte für sie nur begrenzt interessant sind. Es sind eben die neueren, von denen es gute Renderings gibt und bei denen das Technische einigermaßen stimmt. Ich konnte die alten Projekte ja unterwegs nicht neu auflegen. Wie oft habe ich mich schon geärgert, dass ich nicht einfach zuhause ein ordentliches Portfolio erstellt habe.

Wir gehen die Mappe schnell durch und ich erläutere in aller Kürze die Projekte. Am Ende entdeckt Chris noch das Projekt aus dem zweiten Semester, welches ich auf den letzten Drücker ausgedruckt habe, weil es eben doch eines der wenigen für L-A-V-A wirklich interessanten Projekte ist. Da es aber nur schwarzweiß und auf schlechtem Papier ist, habe ich es hinter dem letzten Blatt des Portfolio in die Folie geschoben. Beim umblättern der letzten Seite scheint es durch.

Es ist das geschwungene Sportzentrum, das Ulla, Daniel und ich in einem langen harten Kampf geplant haben. Jede Woche musste ich das Modell am Computer neu bauen und etliche Versuchsmodelle anfertigen. Das Abgabemodell brach einen Tag vor der Abgabe zusammen und ich baute in der Nacht noch ein neues aus Draht.

Dieses Projekt zieht Chris also aus der Folie und sagt „Das ist genau das, was wir sehen wollen“. Er steckt es einfach vor eines der anderen Projekte und die Sache ist geklärt.

Auch die anderen Projekte finden sie nicht schlecht. Sie hätten schon viele schlimme Mappen gesehen, das hier sei keine davon.

Wir kommen noch auf mein Gehalt zu sprechen. Am liebsten würden sie mir wohl gar nichts bezahlen und erzählen von Studenten aus der Schweiz, die sogar während dem Studium schon Geld sparen, um dann nach Sydney zu kommen.

Also muss ich erklären, dass ich aber Geld zum leben brauche. Schließlich können wir es uns nicht leisten, mit Minus aus der Arbeitszeit zu gehen. Null wäre erträglich und plus wäre wesentlich besser.

Mehr bezahlen könnten sie mir, wenn ich länger bliebe. Denn ich muss ja erst mal eingearbeitet werden. Oder vielleicht möchte ich meinen Master in Sydney machen?

Ich muss ablehnen, denn das passt vom Zeitplan her nicht. Wir möchten schließlich wirklich Mama und Pino an Weihnachten in Kanada treffen. Ich kann höchstens versuchen Kanada noch ein oder zwei Wochen nach hinten zu schieben.

Leider bin ich ziemlich unbeholfen, was das Verhandeln angeht. Ich habe keine Ahnung, was ich „wert“ bin. Da es mir so vorkommt, als habe ich im Studium nicht viel gelernt, bestehe ich einfach nur darauf, dass ich meine Lebenshaltungskosten werde decken können müssen.

Wir einigen uns darauf, dass mein genaues Gehalt in der ersten Arbeitswoche festgelegt wird. Da es scheint, als sei geklärt, dass ich hier arbeiten kann, frage ich, ob ich jetzt nicht langsam gehen soll. Weil sie sich ja schon so viel Zeit für mich genommen haben und doch die Abgabe noch fertig machen müssen. Wobei das ja die Mitarbeiter tun, die unten fleißig an ihren PCs sitzen.

Das belustigt sie. Ob ich es eilig habe? Nein, eigentlich nicht. Also reden wir noch ein wenig.

Dann gehen wir alle zusammen nach unten, abspülen soll ich wirklich nicht. Vielleicht im Juni.

Damit ist es abgemacht. Ich soll mich nur mal vorher melden, ob wirklich alles in Ordnung ist. So eine Weltreise ist ja nicht ganz ungefährlich.

Händeschütteln und dann gehe ich wieder zum Bus.

Ich kann es noch gar nicht fassen. Einmal mehr geht ein Traum in Erfüllung. Nur zwei Dinge trüben das Wasser ein wenig: Ich dachte, dass ich vielleicht finanziell mehr zur Reise würde beisteuern können und andererseits habe ich Schiss. Denn ich möchte unbedingt gut sein, weiß aber schon jetzt, dass ich mich unterwegs nur mäßig werde vorbereiten können.

Erst mal schiebe ich diese Gedanken genau wie meine Freude zur Seite und sehe zu, dass ich den richtigen Bus zurück zu Dario erwische. Er freut sich für mich, ist aber natürlich auch ein wenig traurig, dass er selbst keine feste Zusage hat. Aber wir wissen ja, dass er jederzeit etwas bekommen wird.

Obwohl ich versuche mich zu entspannen, bin ich immer noch ganz kribbelig. Ich habe meine erste Arbeitsstelle nach dem Studium.

Eine unfreiwillige Nacht in Sydney

Wir machen uns auf den Weg zum Autoverleih. Er liegt etwas außerhalb, nahe des Flughafens. Dort angekommen müssen wir noch kurz warten, bis jemand Zeit für uns hat. Ich nutze die Gelegenheit die anderen Backpacker anzusprechen, die ebenfalls herumstehen. Zwei Mädels haben gestern einen Wagen geliehen und sind heute zurückgekommen, weil sie Nachts eine Maus in den Eingeweiden des Vehikels gehört haben. Nun sind die Mitarbeiter dabei, nach dem Tier zu suchen.

Dann versuchen wir den Wagen zu bezahlen.

Fehlanzeige.

Erstens: Das Geld, das Dario mir schon vor einer Woche überwiesen hat, ist nicht angekommen.

Zweitens: Seine Bank hat unserer Anweisung nicht entsprochen seine Karte für höhere Beträge freizuschalten und er kann trotz Geld auf dem Konto nicht bezahlen.

Drittens: Obwohl am Ende nur noch knapp hundert Dollar fehlen, weigert sich der Verleih uns den Wagen auszuhändigen. Obwohl wir natürlich morgen vorbeikommen und bezahlen würden.

Gut, wir hätten vielleicht schon vor Tagen anfangen sollen Bargeld abzuheben, aber wir hatten ja eigentlich alles geregelt und mit solchen Komplikationen überhaupt nicht gerechnet.

Ich telefoniere natürlich mit meiner Bank. Die kann da aber nichts machen, denn irgendwas stimmt bei der Kontozuordnung nicht und wir sollen nochmal eine Mail mit den Überweisungsdaten schicken.

Dario telefoniert auch mit dem Notfallservice seiner Bank, der kann aber auch nichts machen. Das kann nur die Filiale bei ihm zuhause. Und die macht erst auf, wenn der Autoverleih schon geschlossen hat. Wir sind schließlich auf der anderen Seite der Welt.

Ich könnte versuchen, mit meiner EC-Karte irgendwo Geld abzuheben, aber hier gibt es weit und breit keinen Geldautomaten. Und bis wir zu einem gefahren und wieder zurück sind, wäre der Verleih auch zu.

Scheiße!

Wir beschließen das einzig Mögliche: Unsere Banken beschimpfen, den Autoverleih beschimpfen, auf uns selbst sauer sein und eine weitere Nacht in Sydney verbringen.

Ich rufe bei dem Architekturbüro an, das mir Sonjas Freundin vermittelt hat. Dort hätte ich heute eigentlich auch noch ein Vorstellungsgespräch. Ich weiß zwar schon, dass ich bei L-A-V-A arbeiten werde, aber Dario bestärkt mich trotzdem das Gespräch wahrzunehmen. Man lernt schließlich immer etwas und wer weiß, ob L-A-V-A es sich nicht noch anders überlegt. Auch wenn ich das nicht glaube.

Es ist kein Problem den Termin auf morgen zu verschieben.

Wir fahren wieder in die Stadt. Unser Gepäck lassen wir größtenteils beim Autoverleih. Wo wir übernachten, wissen wir noch nicht. Bei Sonja wollen wir auf keinen Fall noch ein drittes Mal auftauchen. Sie würde uns zwar sicher aufnehmen, aber sie hat einfach schon zu viel für uns getan. Unsere Würde hat schon schwer genug damit zu schaffen, dass wir das Auto nicht bezahlen konnten.

Ich nutze die verzögerte Abreise, um mir noch das „Olio“ anzuschauen. Ein Restaurant, dass L-A-V-A kürzlich fertiggestellt hat. Mit fließenden Formen und weichem Licht in Kombination mit alten Backsteinwänden und hölzernem Mobiliar verfügt es über eine tolle Atmosphäre. Entsprechend voll ist es.

Da wir gerade ja mal wirklich kaum noch Geld haben (zumindest keines, auf das wir heute zugreifen können), kaufen wir uns alles für eine Brotzeit und dinieren mit Blick auf Gehrys Backsteinkunstwerk. Das „Dr Chau Chak Wing Building“ (2015), auch gerne „paperbag“ genannt.

 

Dann machen wir es uns im Park gemütlich und überlegen, wie wir weiter vorgehen. Ich habe zwar vorhin ein paar Couchsurfer angeschrieben, aber so kurzfristig hat niemand geantwortet.

Mit unserem restlichen Geld könnten wir uns wahrscheinlich höchstens einen Bett im Dorm eines Backpackerhostels leisten und dafür ist es uns eigentlich zu schade.

Schließlich entscheiden wir uns: Wir gehen ins Kino.

Wir schauen „Ghost in the Shell“, ein Film bei dem das Bewusstsein von Menschen in einen Roboterkörper verpflanzt wird, um perfekte Waffen zu erschaffen. Der Film ist spannend (genug Action für Dario) und beleuchtet sowohl die guten als auch die schlechten Seiten eines solchen Daseins (gerade genug Geschichte für mich).

Die Nacht verbringen wir im Park auf einer gemütlichen Bank mit Tisch. Dario klärt alles mit seiner Bank und ich schreibe nochmal L-A-V-A und bedanke mich für das gute Gespräch. So denken sie hoffentlich daran mir bald ihre Zusage per Mail zu bestätigen.

Irgendwann morgens wecke ich Dario und nun bin ich mit Schlafen dran.

 

Out of Hand

Als es spät genug ist um aufzustehen, gehen wir erst mal zum Geldautomaten und heben das restliche Geld fürs Auto ab. Es funktioniert.

Dann besuchen wir im Powerhouse Museum die Austellung „Out of Hand“. Auch eine Empfehlung von Chris. L-A-V-A hat die Ausstellungsfläche gestaltet. Das Thema ist die Materialisierung des Digitalen.

Sowohl Design als auch Exponate gefallen uns ausgesprochen gut und wir sind traurig, dass wir das Auto abholen müssen. Auch den Rest des Museums würden wir gerne sehen. Wir könnten hier viel mehr Zeit verbringen. Das kommt auf die Liste für unsere Rückkehr im Juni.

Aber immerhin haben wir knapp eine Stunde, um die Ausstellung zu erkunden.Und zu entdecken gibt es hier in der Tat so einiges:

 

Oribotics (Matthew Gardiner, 2010)
Diese Blüten wechseln die Farbe und öffnen sich, wenn man sich ihnen nähert!

Who This Am (Kijin Park, 2014)
Ein besonderes Werk ist dieser Papierstapel mit dem Becher obenauf.
Der Becher ist ein 3D-Druck und die Seiten sind mit all den Nullen und Einsen bedeckt, die die Form des Bechers für den 3D-Drucker beschreiben. Eine ordentlich Menge.

Von den Lochkarten des Jacquardwebstuhls bis zum 3D-Drucker.

Quin.MGX Lamp (Bathsheba Grossman)
Lampe aus lasergesintertem Polyamid.

KiLight (François Brument und Sonia Laugier, 2011)
Formen aus Bewegung – Dario erzeugt durch Handbewegungen Lampenschirme.
Daneben hängen einige Ergebnisse aus lasergesintertem Polyadmid.

 

Modell des Opernhauses (1961-65).
Dieses Modell des Opernhauses besteht aus einer Teilkugel, die durch gleichmäßige (3,65°), vom höchsten Punkt ausgehende Linien unterteilt wird. Herausgeschnitten sind vier unterschiedlich große Teile, die aneinandergereiht die Form des Opernhauses ergeben.

Die Linien zeigen die Rippenstruktur der Konstruktion.
Es dauerte Jahre eine Konstruktion zu entwickeln, mit der die Formvisionen des Architekten Jørn Utzon realisiert werden konnten.
Den Ausstellern zufolge war das Opernhaus das erste Gebäudedesign, für dessen Realisierung Computer notwendig waren.

Heute gibt es viele Gebäude, deren Realisierung ohne Computertechnologie undenkbar wären. Oder deren Form gar durch Algorithmen (Parametrisches Design) gefunden wurde. Interessate Bauten zu diesen Themen gibt es viele, zum Beispiel die ICD/ITKE Research Pavilions der Universität Stuttgart, oder auch der Metropol Parasol in Seville.

 AnatomicsAcrylic Custom Cranial Implant, (Courtesy of Anatomics, 2016)
 
linker Tisch:    Cinderella Table (Demakersvan, 2005)
                      Birkensperrholz, CNC gefräst
rechte Tische:  Louis Occasional Tables (Gareth Neal, 2010)
                       Eiche, CNC

 

 

Ja 552354454 (Chris Bathgate, 2014)
Futuristisch und elegant erscheinen diese Gebilde aus Aluminium, Bronze und Edelstahl.
Sie sind  CNC-bearbeitet.

Hal (Faig Ahmed, 2016)
Diese Teppiche haben ihren ganz eigenen Reiz 😉
Sie sind allerdings nur digital entworfen. Hergestellt werden mussten sie von Hand.

Auch die Mode folgt dem Ruf der Digitalisierung.
Im Bild vorne rechts: InBloom Dress (XYZ Workshop, 2014) aus kompostierbarem Plastik 3D-gedruckt.

Vase#44 (François Brument und Sonia Laugier, 2008) 
Macht man ein Geräusch in das hängende Mikrofon auf der linken Seite des Bildes, formt sich aus dem Stimmmuster eine Vase.
Diese kann dann mit einem 3D-Drucker hergestellt werden.
Dieses interaktive Exponat sorgt immer wieder für ein gewisses Lärmaufkommen. Singend, pfeifend, grunzend und lachend gestalten wir einige mehr und einige weniger wohlgeformte Vasen.

Machine von AW Standfield & Co (1942-3)
Dieses Gebilde ist eine Machine zur Herstellung von Mausefallen. Bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand im Jahr 2000 hat sie 94 Millionen Mausefallen hergestellt.

ParaNorman (Animationsstudio LAIKA, 2012)
Erst wollten wir den Aufwand ja gar nicht glauben, aber für den Film ParaNorman wurde jeder einzelne Gesichtsausdruck der Charaktere 3D-gedruckt. Und den Aufwand die ganzen Szenen zu stellen möchte ich mir gar nicht vorstellen.

L’Artisan Électronique (Unfold und Tim Knapen, 2010)
Diese virtuelle Töpferscheibe fasziniert Dario ganz besonders. Immer und immer wieder streckt er seine Hand in den Laserstrahl und formt virtuelle Vasen auf dem Bildschirm. Es ist eine echte Herausforderung ihn von diesem Spielzeug wieder fort zu bekommen!
Auch diese Werke können von einem 3D-Drucker hergestellt werden. Statt Plastik wird in diesem Fall Ton aufgespritzt. So werden traditionelle Herstellungstechnik und hochmoderne Technologie verknüpft.

 

Campervan im fortgeschrittenen Zerfallsstadium

Mit dem Bus geht es danach wieder zum Autoverleih. Diesmal dauert es nur wenige Minuten, bis wir fertig bezahlt haben, aber über eine halbe Stunde, bis wir die Karre schließlich haben. Eine Karre ist es wirklich. Ein weiß übertünchter Altwagen vom Autoverleiher „Jucy“. Das typische Grün schimmert an einigen Stellen noch durch.

Das Handschuhfach hat keine Klappe mehr und unter dem Bezug der Türen spürt man kaputtes Plastik. Die Bretter für‘s Bett sind etwas verzogen, aber funktionstüchtig. Außen sind etliche Kratzer. Alles in allem: brauchbar. Aber dass wir für dieses Ding 60 Dollar pro Tag bezahlen ist schon eine Frechheit.

Was uns allerdings sofort positiv auffällt: Es gibt kein einziges Zeichen, dass auf einen Autoverleih hinweist. Kein auffälliges Spray, keine Aufschrift, kein Logo. Perfekt um unerlaubt überall zu übernachten ohne aufzufallen.

Wir düsen los.

Müdes Übungsgespräch

Diesmal sind wir pünktlich für mein Bewerbungsgespräch. Das Büro liegt etwas außerhalb der Stadt in einer alten Keksfabrik. Die Leute, vor allem die Dame die mich interviewt, sind alle ausgesprochen sympathisch und ich finde es schade, dass ich nicht in beiden Büros arbeiten kann. Aber hier interessiert mich der Stil einfach zu wenig. Die Bücher im Regal deuten allerdings auf gemeinsame Interessen hin, da viele meiner Lieblinge darunter sind.

Leider bin ich so müde, dass ich nicht so viel mitnehme, wie ich gerne würde. Trotzdem ist das Gespräch nett und sehr interessant. Meine Mappe wird sogar richtig gelobt und am Ende sagen sie mir, dass bestimmt auch bekanntere Büros mich gerne nehmen würden.

Das macht mir eine Absage natürlich einfacher. Allerdings werde ich damit noch mindestens eine Woche warten. Sie sagen mir sogar, dass sie mich auf jeden Fall nehmen würden und ich mich einfach kurz vorher melden soll, falls ich das möchte. Wieder im Auto kann ich endlich richtig entspannen. Wir fahren noch Darios Surfboard abholen, dass er übers Internet gebraucht gekauft hat und dann geht die Fahrt endlich richtig los.

Wenn auch heute nicht sehr weit, denn wir sind ja beide ganz schön müde.